Was hat Fußball mit Glaube und Religion zu tun?

Stefanie Opitz im Interview mit Dunja Hayali beim Evangelischen Kirchentag 2019.

Wenn man an Dunja Hayali denkt, dann denkt man an die Moderatorin im „Aktuellen Sportstudio“ und im ZDF-Morgenmagazin. Vielleicht noch an knackige Talkrunden zu gesellschaftspolitischen Themen, aber ganz bestimmt nicht an den evangelischen Kirchentag und an eine Bibelstunde.

Wie lange mussten Sie überlegen, beim Kirchentag eine Bibelarbeit zu übernehmen?

DH: Ich bin einen „schmutzigen Deal“ eingegangen. Obwohl – eigentlich war es gar kein Deal. Hans Leyendecker hat eine Laudatio auf mich gehalten, als ich 2018 den Bendediktpreis von Mönchengladbach bekomme habe.

Ich war von seinen Worten so berührt und gerührt, dass ich sofort Ja gesagt habe, als er mich fragte, ob ich das machen wollte.  Ohne auch nur drei Sekunden darüber nachzudenken, was das bedeutet.

Es ist gar nicht so einfach, sich intensiv mit einer Bibelstelle auseinanderzusetzen, wenn man nicht ganz so bibelfest ist wie ich. Aber es hat total Spaß gemacht!

  • Sie selbst sind katholisch aufgewachsen, waren sogar Messdienerin, sind dann aber aus der katholischen Kirche ausgetreten. Was ging dem Austritt voraus?

Die Geschichte liegt 25 Jahre zurück. Einer meiner besten Freunde hat sich damals umgebracht und der Pfarrer in der Kirche hat als Begründung bei der Trauerfeier gesagt, dass Gott auch junge Menschen bei sich haben möchte. Das versetzt mir bis heute immer noch einen Schmerz. Damals hat sich was bei mir gelöst und ich habe mich von der Kirche entfernt. Ausgetreten bin ich erst Jahre später.

Eigentlich habe ich mich erst ein bisschen durch Heinrich Bedford-Strohm (Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, Anmerk. d. Red.) mit der Kirche versöhnt. Ich hatte ein langes Interview mit ihm und erzählte ihm die Geschichte. Und er war der Erste, der nicht versucht hat, das zu relativieren oder als richtig hinzustellen und da hat sich mein verkrampfter Knoten der Kirche gegenüber gelöst. So einfach ist das manchmal.

Dunja Hayali interpretierte eine Bibelstelle beim Evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund.
  • Wir führen das Gespräch mit Blick auf das größte Fußballstadion Deutschlands, das Dortmunder Westfalenstadion. Ist Glaube auch eine sportliche Herausforderung?

Ja, auf jeden Fall, weil es was mit Ringen zu tun hat. Es ist immer wieder ein Schaffen von Distanz und ein Schaffen von Nähe. Es hat absolut etwas damit zu tun.

  • Glaube hat nicht nur etwas mit Kirche und festgelegter Religion zu tun. Für viele Menschen ist der Fußball im Ruhrgebiet …

Fußball ist unsere Religion.

  • Warum?

DH: Ich glaube es geht darum, Zusammenhalt zu leben und zu erleben, dass man etwas hat, worauf man sich verständigt, wo es keine Diskussionen gibt. Jeder singt, wenn die Mannschaft reinläuft, man steht zusammen, man fühlt sich getragen, man feiert zusammen, man leidet zusammen, man hat das gleiche Ziel vor Augen… und das verbindet.

Und das ist das, was Glaube, Religion und Kirche schaffen sollte, aber in den letzten Jahren, vielleicht Jahrzehnten sträflich vernachlässigt hat. Der Rückhalt der Kirche hat in den Zeiten, in denen die Gesellschaft gespalten ist, nachgelassen und frage mich: wo treffen sich Menschen, wo sind Begegnungsorte?

Kirchen, Sportvereine, Gewerkschaften waren diese Orte und die brechen nach und nach weg. Ich glaube, dass Kirche in den Umbrüchen, die wir gerade erleben, in den Diskursen zwischen links und rechts, oben und unten, aufwachen und ihre Rolle finden muss, auch im Politischen.

  • Glaube und Religion spielen im Sport eine große Rolle. Wir sehen das häufig beim Fußball. Spieler bekreuzigen sich beim Betreten des Rasens oder beten, lassen sich auch religiöse Symbole tätowieren. Hat sich der Fußball dadurch verändert, dass die verschiedenen Religionen auch sichtbar werden?

Ich kann nicht beurteilen, ob das vor 20, 30 Jahren anders war. Wir haben einen Kult des Darstellens in den letzten Jahren zelebriert und ja, da spielen Fußballer eine große Rolle, angefangen mit Fußballstars wie David Beckham. Es ist das nach außen tragen, zur Schau stellen, das auf der Haut zeigende war früher nicht so präsent.

Aber ich kann mich auch an Bilder aus den 70er Jahren erinnern, wo sich Fußballer bekreuzigt haben. Mich würde interessieren, warum sie es heute tun, was sie erhoffen oder ob es nur ein Ritual ist oder nur Aberglaube? Oder ob sie wirklich gläubig sind.

  • In Fußballmannschaften treffen Spieler verschiedener Kulturen und Religionen aufeinander. In der Bundesliga bei jedem Verein. Muss da erstmal interkulturelle Kommunikation geübt werden?

Ich würde mir wünschen, dass die Verantwortlichen nicht nur die Themen Glaube und Religion in der Mannschaft ansprechen. Es gibt viele Dinge, die wir durch andere Kulturen lernen, erlernen, erfahren, vielleicht auch ablehnen. Und da das Gespräch zu suchen, das wäre in den Teams wichtig.

Glaube kann da auch Zusammenhalt schaffen und was Verbindendes sein. Aber dazu muss man natürlich kommunizieren. Es wäre hochspannend, sich mit Fußballern zusammenzusetzen, die einen anderen Glauben haben, sie sind ja auch Vorbilder. Ich glaube nicht, dass das wirklich passiert. Aber ich weiß es natürlich nicht!

  • Fußball verbindet über Kontinente hinweg, überwindet soziale Grenzen, hat feste Rituale, was erinnert noch an Religion?

Das spannende ist, dass für viele Menschen 90 Minuten nur auf dem Platz zählt, nicht die Hautfarbe, nicht die Herkunft. Aber was ist nach den 90 Minuten? Was passiert dann in den Köpfen der Menschen?  Bleiben wir dann immer noch zusammen? Verbindet uns der Fußball dann immer noch? Über die Grenzen, Sprachen, Religionen hinweg?

Sehe ich weiterhin den Menschen und was er kann? Oder ist es dann plötzlich der Schwarze oder der Moslem, wird dann außerhalb des Spielfeldes doch anders hingeguckt? Häufig ist das nämlich so. Und das macht mich traurig, dass es auf dem Platz schön ist, aber den Spieler als „Nachbarn“? Darüber muss man diskutieren.

  • Dennoch sind Fußball und Sport auch wichtige Bereiche für Integration. Es gibt viele Beispiele wo Integration gelingt. Auch im Leistungssport. Ist das ein Anfang?

Absolut. Die Verbände, der DFB, die DFL, die Vereine in Deutschland nutzen den Sport als Bindeglied, als Scharnier zur Gesellschaft und das überwiegt auch. Es gibt viele gute Projekte, die Kinder und Jugendliche ran holen, Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion zusammenbringen. Fußball hat eine irrsinnige Integrationskraft, aber wir dürfen ihn damit auch nicht allein lassen und überfrachten.

Integration und Toleranz sind auch zentrale Themen beim Kirchentag in diesem Jahr in Dortmund. Der rote Faden. Das sind Themen, für die Sie sich immer wieder stark machen. Welchen Impuls wünschen Sie sich von diesem Evangelischen Kirchentag in die Gesellschaft?

Dass das, was hier zelebriert wird, raus aus diesem Kosmos getragen wird und die Teilnehmer es mit in ihren Alltag nehmen. Jeder für sich selbst. Wir sind sehr schnell dabei, mit den Fingern auf andere zu zeigen, aber vielleicht sollten wir erst auf uns selbst gucken, hinterfragen, reflektieren, bin ich noch auf dem richtigen Weg? Was habe ich hier wirklich mitgenommen? Lass ich das mal sacken?

Sende ich nur oder empfange ich auch? Kurz: Klopfen wir uns hier alle auf die Schulter und sagen: Mein Gott sind wir gute Menschen! Das reicht nicht. Denn wie ist es in meinem Alltag? Bin ich da immer noch großzügig? Barmherzig? Habe ich die Nächstenliebe dann immer noch in mir? Wem vertraue ich eigentlich? Bin ich so respektvoll und tolerant, wie ich das hier die ganze Zeit erlebt und gespiegelt bekommen habe? Die Prüfung findet im Alltag statt und nicht hier in den drei Tagen

Was nehmen Sie mit?

Dankbarkeit, dass ich nach meiner besonderen Erfahrung, also der Bibelstunde, getragen wurde. Auch vom Applaus und die warmen Worte, die mich danach auf verschiedenen Kanälen erreicht haben. 

Dunja Hayali, vielen Dank für das Gespräch!